
5.4 Über den Umgang mit Behörden
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Vorurteile – Verständnisbarrieren: Stolpersteine bei jeder Kooperation
In der Zusammenarbeit mit jemandem, der zu einer anderen Institution gehört, eine andere Ausbildung hat und zu dessen Institution möglicherweise die eigene in Konkurrenz steht, ist es ratsam, sich zu vergewissern, mit welcher Einstellung und Haltung man auf den Kooperationspartner zugeht. Um die Interessen von Kindern wirksam zu vertreten, es ist notwendig, Mitarbeiterinnen anderer Ämter, Politiker aller Parteien und Vertreterinnen unterschiedlicher Institutionen zu überzeugen, Ideen und Inhalte in der Arbeit zu übernehmen und zu realisieren, wozu ihn oder sie kein Gesetz und keine Vorschrift wirksam zwingt. Genauso wichtig ist es, ein Gespür dafür zu entwickeln, was die Mitarbeiter aus den anderen Bereichen über die eigene Person und den eigenen Arbeitsbereich denken.
Die folgenden Einstellungen beschreiben wechselseitige Vorurteile zwischen Mitarbeitern der Jugendhilfe auf der einen und Mitarbeitern anderer Verwaltungsteile auf der anderen Seite. Sie treffen nicht auf alle zu: Ausnahmen gibt es immer. Nach meiner Erfahrung benennen sie dennoch typische Grundhaltungen, die Kooperation oft schwierig oder gar unmöglich machen. Mitarbeiter der Jugendhilfe, vor allem Sozialarbeiter und -pädagogen, haben gegenüber anderen Verwaltungsbereichen oft folgende Einstellungen:
- ”Die haben keine Ahnung, wie heutzutage die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen aussieht.”
- ”Die interessieren sich nicht für soziale Probleme; die haben ganz andere Interessen.”
- ”Die betreiben Selbstverwirklichung in Straßen- und Hochbauten, Theater und neuen Steuerungsmodellen.”
- ”Die sind arrogant und werden besser bezahlt als wir.”
Mitarbeiter anderer Ämter wiederum lassen in Gesprächen häufig durchblicken, was sie von Sozialarbeitern und -pädagogen halten:
- ”Das sind linke und soziale Spinner, die keine Ahnung von der gesellschaftlichen Realität haben.”
- ”Sozialarbeiter sind besserwisserisch und arrogant.”
- ”Die sehen immer nur ihre eigene Klientel und akzeptieren keine anderen Interessen.”
- ”Die arbeiten sowieso nicht, sondern trinken den ganzen Tag nur Kaffee.”
- ”Die haben keine Ahnung von wirtschaftlichen und finanziellen Fragen und sägen an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen.”
Solange solche Stereotype vorherrschen, wird eine Kooperation kaum funktionieren. Aussagen und Widerspruch der anderen zu eigenen Aussagen können nur ernstgenommen werden, wenn eine Haltung grundsätzlicher Akzeptanz existiert, in der jeder den anderen ernst nimmt und ihm eine fachlich fundierte Haltung zugesteht. Die Vorurteile werden normalerweise nicht offen ausgesprochen, viele würden auch bestreiten, so zu denken. Gerade weil sie nur „unter der Hand“ verbreitet werden, sind sie jedoch wirksam und verhindern eine offene Auseinandersetzung. Interessenvertretung von Kindern setzt voraus, andere überzeugen zu können, es sei denn, man will ein andauerndes Verhältnis von Druck und Kontrolle aufbauen, um die eigenen Forderungen durchzusetzen. Der wirksamste Weg ist der Weg der Überzeugung. Wenn der Gesprächspartner von der Notwendigkeit der Berücksichtigung von Kinderinteressen überzeugt ist, wird er sie in seinem Handeln berücksichtigen, soweit es in seiner Macht liegt und soweit er die notwendigen Kenntnisse dazu hat. Und er wird dies möglicherweise dauerhaft fortsetzen und eigenständige Aktivitäten entwickeln.
Interessenkollisionen bei der Bürgerbeteiligung – Erfahrungen von Stadtplanern
Für eine gute Zusammenarbeit ist es wichtig, eine realistische Einschätzung über die jeweiligen sachlichen Notwendigkeiten und Zwänge zu gewinnen, unter denen die Kooperationspartner arbeiten. Gerade wenn es um die Einbeziehung von Kindern geht, sollte man wissen, unter welchem Druck die betroffenen Behördenmitarbeiter arbeiten. So sind die planenden und bauenden Ämter ständig mit der Organisation von Bürgerpartizipation beschäftigt. Zu übergeordneten Planungsvorhaben, zu jedem Bebauungsplan und Straßenausbauplan werden Bürgerversammlungen, Planauslegungen und Anhörungen durchgeführt. Auch wenn die Mitarbeiter mit der Partizipation von Kindern keine Erfahrungen haben, so besitzen sie doch ein breites Erfahrungswissen über Regeln, Strategien und Techniken der Bürgerbeteiligung. In den genannten Bereichen ist die Beteiligung von Anwohnern und Interessengruppen gesetzlich vorgeschrieben, und dieser Anspruch wird durchweg, wenn auch mit unterschiedlicher Qualität, realisiert.
Am Beispiel der Ausbauplanung einer Straße sind typische Interessenkonstellationen und Kollisionen zu zeigen, mit der sich ein Straßenplaner im Rahmen einer Bürgerbeteiligung auseinanderzusetzen hat:
Anliegergruppe A (ältere Anwohner, deren Kinder aus dem Haus sind) fordert möglichst freie und zügige Durchfahrt; sie ist gegen verkehrsberuhigende Elemente und gegen eine zu geringe Fahrbahnbreite. Kinder sollten nicht auf der Straße spielen, denn wozu gibt es Hausgärten und Spielplätze?
Anliegergruppe B (junge Familien) schlägt vor, möglichst viele Schwellen auf der Straße zu bauen; am besten wäre noch eine Straßensperre. Sie wollen, daß ihre Kinder sich ungefährdet auf der Straße aufhalten und spielen können. Gleichzeitig soll die Straße übersichtlich sein, damit Kinder und Autofahrer sich frühzeitig sehen können.
- Anliegergruppe C (ökologisch orientierte junge Paare) will eine möglichst grüne Straße; sie sollte so eng wie möglich mit vielen grünen Inseln gebaut werden. Auch viele Bäume sind wünschenswert.
- Anliegergruppe D (vor allem die alten Menschen, denen viel an einer gepflegten Straße liegt und deren Kräfte schwinden) will nun überhaupt keine Bäume auf der Straße, denn das Laub im Herbst macht ja doch keiner von denen weg, die die Bäume fordern.
- Anliegergruppe E hat den Ausbau schon lange gefordert und beklagt sich, daß die Verwaltung alles mögliche mit ihren Steuergeldern tut, nur nicht ihre Straße ausbaut.
- Anliegergruppe F hält den Ausbau für überflüssig und zu teuer und ist nicht bereit, die Anliegerkosten zu tragen. Als wenn die Stadt nicht andere Dinge sinnvoller mit dem Geld tun könnte.
- Die Feuerwehr wehrt sich gegen zu enge Straßen und gegen verkehrsberuhigende Maßnahmen; sie kommt im Notfall sowieso kaum noch durch die Stadt. Absperrungen sollten auf keinen Fall sein.
- Ein Vertreter des Automobilclubs fordert möglichst freie Straßen, keine Absperrungen und viele Parkplätze.
- Die Umweltverbände fordern Tempo-30-Zonen, viele Straßenbäume und vor allem gute Radwege mit einer Breite von mindestens 1,50 m.
- Die Polizei hat zu diesem Zeitpunkt kein besonderes Interesse, aber sie will beteiligt werden.
- Das Straßenverkehrsamt achtet darauf, daß die Straßenverkehrsordnung zur Geltung kommt.
- Die Gleichstellungsbeauftragte weist auf mögliche Angsträume hin und plädiert gegen Sichthindernisse und zu dichte Bepflanzung; sie fordert gleichzeitig eine kinderfreundliche Straße.
- Die Bezirkspolitiker (sie sollen letztlich über den Plan entscheiden) bringen je nach Fraktion unterschiedliche Interessen ein; sie wollen vor allem, daß alle Interessen berücksichtigt werden, daß die Straße schön aussieht und möglichst billig wird.
Und dann kommt die Kinderbeauftragte und will auch noch die Kinder mit einbeziehen.
Wer Bürgerversammlungen der bauenden und planenden Ämter mitgemacht hat, hat erfahren, daß Bürgerbeteiligung auf der einen Seite zumeist mit einer großen Ernsthaftigkeit betrieben wird, daß auf der anderen Seite große Frustration herrscht angesichts der Unmöglichkeit, über die meisten Fragen Einvernehmen zu erzielen. Irrationales oder borniertes Verhalten von Bürgern, Interessenorganisationen und Bürgervertretern bis hin zu verletzenden und beleidigenden Angriffen erzeugen bei vielen Planern eine skurrile Form von Humor, manchmal Zynismus. Problematisch ist, daß Planer in der Regel keine Ausbildung für das Management sozialer Konflikte haben und professionelle Formen der Verarbeitung von negativen und verletzenden Erfahrungen fehlen. Sie erleben in manchen Bürgerversammlungen derart aggressive und pauschalierende Konfrontationen, daß eine Weigerung zu jeder weiteren Form der Partizipation als natürliche Reaktion nur zu verständlich wäre. Viele Planer haben sich statt dessen pragmatische Strategien erarbeitet, die zu passablen Ergebnissen führen. Es ist nicht einmal so, daß Planer die Vorschläge etwa eines Kinderbeauftragten für unsinnig halten, wenn man auf sie zugeht. Aber sie antizipieren sofort die Einwände gegen Spielmöglichkeiten auf der Straße, gegen konsequente Verkehrsberuhigung und gegen mögliche phantasievolle Ideen von Kindern, mit denen sie schon durch ihre Vorgesetzten, spätestens aber in der nächsten Bürgerversammlung konfrontiert sein werden. Aus diesem Grund ist nachvollziehbar, warum ein Kinderbeauftragter oder Jugendamtsmitarbeiter nur ungern in Planungsprozesse eingebunden wird: Er verkompliziert die Sache.
Handlungsmotive und sachgerechtes Arbeiten
Kinderinteressenvertreterinnen gehen in dem Gefühl, für eine lohnende und wichtige Aufgabe zu arbeiten, davon aus, daß alle mit dem gleichen Ernst und der gleichen Motivation an die Arbeit gehen. Es werden Sachbearbeiter in anderen Ämtern angesprochen, zu Arbeitsgruppen eingeladen, es werden gute Konzepte geschrieben und in den Entscheidungsweg gegeben. Sie erwarten, daß alle ihre Ideen gut finden und sie unterstützen, denn sie erscheinen schlüssig. Es geht ja schließlich um die Kinder.
Erfahrungsgemäß ist Handeln gerade in öffentlichen Verwaltungen jedoch nicht in erster Linie von der Sache und von rationalen Erwägungen geprägt. Gerade bei der institutionsübergreifenden Kooperation sind eine Reihe von Motiven handlungsleitend, die mit der Sache wenig oder nichts zu tun haben:
Wer hat die Federführung?
Bei jedem Projekt und bei jeder Verwaltungsmaßnahme gibt es die „Federführung“, die in einer „Zuständigkeitsordnung“ festgelegt ist. Ein Projekt „gemeinsam”, also als Teamarbeit zu verantworten, ist kaum denkbar. Die Klärung dieser Frage für sich selbst (sie muß nicht unbedingt immer mit allen besprochen werden) und ein aktives Handeln für die beste Lösung ist wichtig, sofern eine Einflußmöglichkeit besteht: Es kann sinnvoll sein, die Federführung selbst anzustreben; es ist möglicherweise sinnvoller, dafür zu sorgen, daß sie von einem Amt zu einem anderen verlagert wird.
Ressourcen sichern
Bei neuen Projekten stellt sich oft die Frage, wie sie finanziert werden sollen. Ohne Klärung dieser Frage kann über Projektideen ebenso lange wie ergebnislos geredet werden. Wenn durch Zuschüsse neue Haushaltsmittel erschlossen werden, so ist die entscheidene Frage, wer sie verwaltet, das heißt, wer „die Haushaltsstelle bewirtschaftet“. Ähnlich diffizil ist die Frage, wo Personal angesiedelt wird, wenn neue Stellen geschaffen werden. Solange z.B. in der Stadt Hamm die Spielplatzmittel durch das Grünflächenamt bewirtschaftet wurden, war eine Verlagerung der Mittel ins Jugendamt, das Bauherr der Spielplätze ist, nicht zu diskutieren. Für das Grünflächenamt waren diese Mittel die größten Beträge, die sie zu verwalten hatten. Eine sachgerechte Lösung wurde erst möglich, als die Planungsabteilung für Grünflächen ins Tiefbauamt verlagert wurde. Für die Tiefbauer waren neben den hohen Aufwendungen für den Straßenbau die Spielplatzmittel sehr viel weniger bedeutend, zudem verbunden mit viel Verwaltungsarbeit, also schlugen sie selbst vor, die Mittel ins Jugendamt zu übertragen.
Selbstdarstellung und Rechtfertigung
Alle Verwaltungsbereiche stehen insbesondere unter der derzeitigen Haushaltssituation unter einem großen Rechtfertigungsdruck der Politik und der Öffentlichkeit gegenüber. Ohne daß sie offen thematisiert wird, steht bei jeder Planung die Frage im Hintergrund, wie ein bestimmtes Projekt öffentlich und politisch „ankommt“. In der Kooperation wird die Sache noch einmal schwieriger. Dann entsteht die Frage, wer in der öffentlichen Berichterstattung an erster Stelle genannt wird, wer auf dem Pressefoto abgebildet wird, wer das Gespräch mit dem Zeitungsredakteur führt und wer das Radiointerview gibt. Selbst wenn der einzelne Sachbearbeiter versucht, mit der Öffentlichkeitsarbeit „locker“ umzugehen, so gibt es spätestens mit den Vorgesetzten Ärger, wenn der entsprechende Artikel in der Zeitung steht und das betreffende Amt nicht gut genug dargestellt ist. Pressevertreter haben oft keinerlei Interesse, differenzierte Organisationshintergründe eines Projektes zu beschreiben; sie suchen einen oder zwei Ansprechpartner, die sie namentlich zitieren wollen. Alles weitere spielt für sie keine Rolle, da sie berechtigterweise der Auffassung sind, daß die Zeitungsleser keine Organisationsschemata lesen wollen. So setzt Öffentlichkeitsarbeit bei institutionsübergreifenden Projekten eine gute Absprache und Vorbereitung und einen professionellen Umgang mit Medienvertretern voraus.
Sachbearbeiter- und Leitungsebene
Bestimmte Fragen werden auf den verschiedenen Hierarchieebenen sehr unterschiedlich behandelt. Generell sind auf Sachbearbeiterebene eher sachliche Diskussionen zu führen und sachgerechte Lösungen zu finden. Werden die Dinge auf Leitungsebene entschieden, kommen „übergeord-nete Gesichtspunkte“ ins Spiel. Wenn man als Kinderbeauftragter an den entsprechenden Leitungsgremien teilnehmen kann, besteht die Möglichkeit, selbst Einfluß auf Entscheidungen zu nehmen. Andernfalls werden die eigenen Interessen von den eigenen Vorgesetzten vertreten, die manchmal andere, konkurrierende oder konfligierende Interessen haben. Für ein Stadtteilprojekt im Norden Hamms wurde die Einbeziehung aller Sachbearbeiterinnen an der „Lenkungsgruppe“, dem Entscheidungsgremium unter Beteiligung aller Dezernenten und dem Oberstadtdirektor, vereinbart. Wenn die Mitarbeiterinnen, die auf der Sachbearbeiterebene einen Konsens ausgehandelt haben, mitreden, können Vorgesetzte sinnvolle Vorschläge nicht mehr so einfach verhindern; sie geraten viel stärker in Begründungszwang, als wenn sie allein oder im internen Kreis der Vorgesetzten entscheiden.
Orientierung an der Sache
Sachorientierung bedeutet: aufgaben- und lösungsorientiert zu denken und im Interesse „des Bürgers“, insbesondere von Kindern zu handeln. Bei ämterübergreifenden Kooperationen hat jeder der Beteiligten einen anderen Blickwinkel. Es ist notwendig, auch den Blickwinkel der anderen zu kennen und zu verstehen. Erst dann kann man in der Auseinandersetzung für seine eigene Sicht überzeugen und im Ergebnis sinnvolle Kompromisse erarbeiten. Die Rolle eines Kinderbeauftragten sollte es sein, die Interessen von Kindern in der Auseinandersetzung mit denen der anderen Beteiligten – die oftmals auch im Sinne von Kindern zu handeln meinen – auszugleichen. Hieran sollten Kinder soweit es geht beteiligt sein, denn letztlich können nur sie selbst in eigener Sache Kompromisse eingehen und bejahen und damit ihre Autonomie wahren (vgl. Kap. 2.6). Bei der Planung eines Spielplatzes gibt es beispielsweise neben der pädagogischen Konzeption auch die Sicht des Grünflächen-Planers mit bestimmten Erfahrungen und spezifischem Fachwissen; die Mitarbeiter der Pflege- und Unterhaltungsabteilung müssen den Platz über Jahrzehnte pflegen und wollen ihre Gesichtspunkte schon in der Planung berücksichtigt wissen.
Formale und informelle Strukturen
Verwaltung ist bürokratisch organisiert als System mit festgefügten Handlungsregeln, die jeder zu beachten hat und die bürokratisches Handeln verläßlich und berechenbar machen sollen. Das Grundprinzip der Allzuständigkeit des Oberstadtdirektors oder Oberbürgermeisters soll eine klare Beziehung zum Gemeinderat mit der Rechenschaftspflicht gegenüber der Politik herstellen. Der Verwaltungleiter delegiert Entscheidungsbefugnisse und gliedert die Verwaltung in Aufgabenbereiche und Ämter mit festen Zuständigeiten. Kommunikation läuft nach klar gegliederten Prinzipien auf den unterschiedlichen Dienstwegen ab.
Für Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen oder Erzieher sind diese Verwaltungsstrukturen häufig zunächst ein Buch mit sieben Siegeln, selbst wenn im Studium einige Stunden Verwaltungsrecht zur Ausbildung gehörten. Gerade Verwaltungsfachbücher, die sich an Sozialarbeiter wenden, erwecken den Eindruck, daß Verwaltung so funktioniert, wie sie funktionieren sollte.[1] Gleichzeitig ist man von Anfang an angewiesen, die komplizierten und oft unsinnig erscheinenden Vorschriften einzuhalten, und bemüht sich mehr oder weniger darum. Lernt man Verwaltung besser kennen, so erkennt man hinter der Fassade der formalen Bürokratie ganz andere Handlungsmuster. „In jeder Dienststelle ist neben dem formellen Informationssystem ein zwar nur schwer erfaßbares, nichtsdestoweniger aber recht wirkungsvolles informelles Kommunikationssystem etabliert“ (Kratz 1987: 121). So wie es in der Schule einen heimlichen Lehrplan gibt, nach dem Kinder ganz andere Dinge lernen als im offiziellen Curriculum vorgesehen, so hat die Verwaltung einen heimlichen Handlungsplan, den zu kennen notwendig ist, will man erfolgreich in diesem System agieren. Dieser Plan ist beispielsweise nach folgenden Prinzipien aufgebaut:
- Wen man gut kennt, für den arbeitet man auch gut.
- Wen man nicht mag, der wird so formal wie möglich behandelt.
- Zu Arbeitskreisen geht man gerne hin, wenn es dort nett ist.
- Wenn man in einen Arbeitskreis geht, ist die wichtigste Regel, keinen Arbeitsauftrag mitzunehmen.
- Ist die Zuständigkeit nicht klar, ist man auf jeden Fall nicht zuständig.
- Handeln gegen die üblichen Verfahrensweisen ist noch nie gedankt worden.
- Wer sich lächerlich machen will, setzt eine Frist.
- Selbständiges Denken und Handeln wird in der Regel bestraft.
- Auf Frauen braucht Mann nicht zu hören .
- Von einem Jüngeren lasse ich mir nichts mehr sagen.
Genauso gibt es einen heimlichen „Verwaltungsgliederungsplan“, der anders als nach der offiziellen Ämtergliederung die Beziehungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen untereinander strukturiert. So prägen die persönlichen und sozialen Zugehörigkeiten das dienstliche Beziehungsnetz. Dazu gehören Gewerkschafts- und Parteimitgliedschaften, Verwandschaften, Zugehörigkeit zur gleichen Ausbildungsgruppe und Freundschaften aus Nachbarschaft oder Vereinen.
Um erfolgreich zu agieren, ist es notwendig, den heimlichen Verwaltungsplan des eigenen Hauses zu kennen und dieses Wissen für die eigene Arbeit zu nutzen. Die Kunst besteht darin, sich gleichzeitig von illegitimen Formen der Absprachen und Zusammenarbeit zu distanzieren und trotzdem nicht naiv an den formalen Strukturen festzuhalten. Der Zweck – im Interesse von Kindern zu handeln – heiligt nicht jedes Mittel. Doch es gibt viele Möglichkeiten, die Arbeit in Kenntnis und Nutzung der persönlichen Beziehungen zu gestalten. Es ist notwendig, Beziehungstrukturen für die eigene Sache aufzubauen und gleichgesinnte Mitarbeiter zu suchen. Schließlich es gibt eine Reihe von legitimen Vorteilen, die aus erfolgreicher Zusammenarbeit zu schöpfen sind. Dazu gehören Freude an der Zusammenarbeit und guten Arbeitsergebnissen, gegenseitige Weiterbildung und die Möglichkeit, manchmal innovativ arbeiten zu können, und nicht zuletzt berufliche Profilierung.
Handlungsmöglichkeiten
Positiv agieren
Bei fast allen Problemen ist es möglich, positive Ziele zu definieren und für diese Ziele andere zu gewinnen. Wer gegen schlechte Spielplätze agitiert, hat damit den Planern, die es in der Zusammenarbeit besser machen sollen, schon das erste Mal auf die Füße getreten, denn diese haben den Platz irgendwann geplant. Stattdessen kann als Ziel formuliert werden, unter Beteiligung von Kindern naturnahe, kindgerechte und kostengünstige Spielräume neu zu entwickeln. So haben sich Aktionen gegen Raser in Tempo-30-Zonen zu „Aktionen zur Verkehrsberuhigung“ entwickelt, die Spaß machen und zu kleinen Straßenfesten werden. Statt „Gewalt in der Schule zu bekämpfen“ arbeitet ein Arbeitskreis heute „für positive Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen im schulischen Umfeld“.
Positiv zu agieren bedeutet nicht eine lediglich sprachliche Umformulierung, sondern eine Frage der Arbeitshaltung und der Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen und Arbeitsinhalte. Eine solche Haltung macht Kooperation und Vernetzung überhaupt erst möglich.
Chancen nutzen
Wenn man sich um die vielfältigen Aufgaben kümmert, die sich aus der Vertretung von Kinderinteressen ergeben, so ist dort so viel zu tun, daß man vor allem in der Anfangsphase getrost Bereiche aussuchen kann, die erfolgversprechend sind. Es ist sinnvoller, zu sehen, wo interessierte Mitarbeiter sind oder wo Gelder zur Verfügung stehen, als nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr” sich die größten Problembereiche auszusuchen und damit Gefahr zu laufen, erfolglos zu bleiben. Je gesicherter die eigene Position ist, um so mehr können auch konfliktträchtige Probleme und Projekte angegangen werden.
Strategisches Geschick entwickeln – angemessen handeln
Es reicht nicht aus, sich für die richtigen Inhalte einzusetzen; vielmehr gehört auch die Fähigkeit dazu, organisationsangemessen zu handeln und die Fähigkeit zu entwickeln, in Verwaltungszusammenhängen zu agieren. Das bedeutet manchmal, vorhandene Beziehungen und Kontakte zu nutzen, und manchmal, auf offizielle Verfahrensweisen zu pochen. Es ist notwendig, die einschlägigen Verwaltungsvorschriften und Rechtsgrundlagen zu kennen, denn diese sind im Sinne der eigenen Anliegen auszulegen oder bieten andere Möglichkeiten als allgemein bekannt sind[2]. Ebenso gehört dazu eine Verständigungsfähigkeit mit Mitarbeitern, die ein anderes Weltbild, eine andere Arbeitsauffassung und ein anderes Wertesystem haben, um mit ihnen gemeinsame Perspektiven zu erarbeiten. Dazu gehört es, ihnen Projekte und Anliegen nach ihren eigenen Wertmaßstäben nahezubringen.
Bündnisse entwickeln
Wenn, wie gezeigt, Verwaltungshandeln in hohem Maße von informellen Strukturen geprägt ist, so ist die Konsequenz, eigene Strukturen und Bündnisse zu entwickeln. Es gibt in jedem Amt interessierte Menschen, häufig junge Väter oder Mütter, die für kinderfeindliche gesellschaftliche Entwicklungen sensibel sind. Sie sind froh, wenn sie in ihrem eigenen beruflichen Feld die Chance erhalten, für eine kindgerechte Stadt einzutreten.
Standbeine und Schwerpunkte entwickeln
Die zu starke Konzentration auf einzelne Arbeitsfelder kann zur Blockierung der Arbeit führen, weil der Fortgang von Projekten nur zum Teil vom eigenen Handeln, oft vielmehr von den Entscheidungen anderer abhängig ist. Es ist also sinnvoll, mehrere Standbeine zu entwickeln, so daß man sich auf die Projekte konzentrieren kann, in denen es gerade vorangeht. Ebenso wichtig ist es, Schwerpunkte zu entwickeln, um sich in der allgemeinen Aufgabenstellung der Kinderinteressenvertretung nicht zu verzetteln.
Kreativität entwickeln
Ein wichtiges Kriterium für eine erfolgreiche Arbeit ist, daß sie für andere interessant ist. Wenn der Kinderbeauftragte stereotyp immer die gleichen Vorschläge wiederholt, so daß die Textbausteine schließlich allgemein bekannt sind, so erzeugt das Langeweile und bewirkt nichts. Gerade freigestellte Kinderbeauftragte haben die Aufgabe, ihr Potential zu nutzen, um neue Perspektiven aufzuzeigen, Arbeit anregend zu gestalten und „unberechenbar“ im positiven Sinn zu sein.
Rechte einfordern
Es ist wichtig, auf vorhandene Rechte zu pochen und ihre Einlösung einzufordern. Auch wenn Erfahrungen frustrierend sind, wenn geschriebenes Recht oftmals nicht durchgesetzt werden kann, ist es immer wieder notwendig, Konflikte einzugehen, um Rechtspositionen von Kindern deutlich und es anderen nicht zu leicht zu machen, Kinderinteressen zu übergehen.
Literatur
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- Apel, Peter; Pach, Reinhard (1997): Kinder planen mit. Stadtplanung unter Einbeziehung von Kindern, Unna
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- Bartscher, Matthias; Claussen, Wiebke (2001): Soziale Dienste und lokale Ökonomie – Arbeitsmarktbezogene Aktivitäten im Stadtteilprojekt Hamm-Norden, in: Sahle, Rita; Scurell, Bavette (Hg.): Lokale Ökonomie – Aufgaben und Chancen für die Soziale Arbeit, Freiburg
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- Freibert, Anke (1994): Grundlagen der inneren Behördenorganisation, in: Mattern 1994
- Heintel, Peter, Krainz; Ewald E. (1990): Projektmanagement: Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? Wiesbaden
- Hopp, Helmut (1993): Beauftragte in Politik und Verwaltung, Bonn
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- Kratz, Hans-Jürgen (1987): Mitarbeiterführung in der Verwaltung, Heidelberg
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- MAGS – Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (1995a): Mehr Demokratie durch Kinderbeteiligung. Chancen und Probleme der Partizipation von Kindern, Düsseldorf
- MAGS – Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (1995b): Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen, 6. Jugendbericht, Düsseldorf
- MAGS – Minsterium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (1997): Tagungsdokumentation „Kinderrechte! Kinderpflichten?“, Düsseldorf
- Mattern, Karl-Heinz (Hg.) (1994): Allgemeine Verwaltungslehre, Berlin
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- Schroer, Jürgen (1997): Pfichten ... in der Öffentlichkeit?, in: MAGS 1997
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[1] Vgl. z.B. Kuhlbach/Wohlfahrt (1994), die zwar die offiziellen Verwaltungsregelungen darstellen, aber keine Hilfestellung zu Verhaltensstrategien und Durchschaubarkeit der inoffiziellen Organisationsmechanismen geben.
[2] Das betrifft z.B. Planungsrecht und Haushaltsrecht und die Möglichkeit, Mittel flexibel zu verwenden: Daß in Hamm Mittel für den Spielplatzbau dazu verwandt werden, pädagogische Bauaktionen durchzuführen, wurde nach Bedenken der Bauverwaltung erst durch eine Absprache mit dem Rechnungsprüfungsamt möglich, das im Sinne einer sparsamen und sachgerechten Mittelverwendung zunächst probeweise und dann dauerhaft zustimmte.
